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Die Weihnachtshistorie bei Uwe Kersten |
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Weihnachtserinnerung des Amtsrichters
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Ich sehe plötzlich, wie es daheim in dem steinernen Hause Weihnacht wird. Die Messingtürklinken sind noch blanker als sonst, die Flurlampe leuchtet noch heller; ein Kinderstrom singend und bettelnd, drängt durch die Haustür; vom Keller heraus zieht der Duft des Gebäckes. Die Zimmer zu beiden Seiten des Flurs sind erleuchtet, rechts ist die Weihnachtsstube. Während ich vor der Tür stehe und horche, wie es drinnen in den Tannenzweigen rauscht, kommt von der Hoftreppe herauf der Kutscher, eine Stange mit einem Wachslichtchen in der Hand. - "Schon anzünden, Thomas?" - Er schüttelt den Kopf und verschwindet in die Weihnachtsstube. Da kommt es die Treppe hinauf; die Haustür wird aufgerissen und herein quillt ein neuer Strom von Kindern; zehn kleine Kehlen auf einmal stimmen an: "Vom Himmel hoch da komm ich her." Schon ist meine Grossmutter zwischen ihnen, den Speisekammerschlüssel am kleinen Finger, einen Teller voll Gebäckes in der Hand. Wie blitzschnell das verschwindet! |
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Drüben in dem Seitengebäude ist das Arbeitszimmer meines Vaters. Er arbeitet schon nicht mehr. Ich öffne leise die Tür.
Mit einer feierlichen Unruhe geht er zwischen den Tischen umher, in der Hand den Messingleuchter mit der brennenden Kerze. Er öffnet die Schublade seines kleinen Stehpults und nimmt die goldene Tabatiere. Aus dem Geldkörbchen werden blanke Silbermünzen für die Dienstboten hervorgesucht, eine Goldmünze für den Schreiber. "Ist Onkel Erich schon da?", fragt er. - "Noch nicht, Vater. Darf ich ihn holen?" - "Das könntest du tun." Und fort renne ich auf die Strasse und habe bald das Giebelhaus erreicht. |
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Dort gehe ich durch die Hoftür, dann über zwei finstere Höfe in ein uraltes Nebengebäude, wo des Onkels Allerheiligstes ist. Ich klopfe an eine Tür. "Herein!" Da sitzt der kleine Herr an seinem Arbeitspult, der Schein der Kontorlampe fällt auf seine Augen. "Onkel, ob du nicht kommen wolltest?" sage ich. Es dauert nicht lange, so wird das Hauptbuch herzhaft zugeklappt, der Schlüsselbund rasselt und: "Fertig wären wir", sagt der Onkel. Ich will schon wieder aus der Tür, aber er hält mich zurück. "Wart ein wenig! Wir hätten noch etwas mitzunehmen." Und aus einer dunklen Ecke holt er zwei wohl versiegelte geheimnisvolle Päckchen. Darin steckte ein Stück leibhaftigen Weihnachtens; so märchenhaftes Zuckerzeug ist mir später niemals wieder vorgekommen.
Bald darauf steige ich an der Hand des Onkels die Steintreppe zu unserem Hause hinauf. Ein paar Augenblicke verschwindet er mit seinen Päckchen in die Weihnachtsstube; es ist noch nicht angezündet, aber durch die halbgeöffnete Tür glitzert es mir entgegen aus der drinnen herrschenden ahnungsvollen Dämmerung. Ich schliesse die Augen und trete in das gegenüberliegende, festlich erleuchtete Zimmer. Mit langsamen Schritten geht mein Vater auf und nieder. "Nun, seid ihr da?" fragte er, stehen bleibend. Und schon ist auch Onkel Erich bei uns; die Stube wird noch einmal so hell, da er eintritt. "Was meinst du", sagt er, "es wird wohl heute nicht viel für uns abfallen?" Aber er lacht dabei so tröstlich, dass die Worte wie eine goldene Verheissung klingen. Während er dann erzählt, steckt plötzlich meine Mutter, die seit Mittag unsichtbar gewesen ist, den Kopf ins Zimmer
Der Onkel bricht seine Geschichte ab,
die Türen werden weit geöffnet. Wir treten zögernd ein und
vor uns, zurückgestrahlt von dem grossen Wandspiegel, steht
der brennende Baum mit seinen Flittergoldfahnchen, seinen
weissen Netzen und goldenen Eiern, die wie Kinderträume in
den dunkeln Zweigen hängen.
THEODOR STORM
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BUCHSCHMUCK UND ILLUSTRATIONEN,
geschrieben und
Zusammengestellt von UWE KERSTEN |
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