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Die Weihnachtshistorie bei Uwe Kersten |
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ALS ICH FÜNF JAHRE ALT WAR, HATTE ICH EINEN GROßEN KUMMER. ICH WEISS KAUM, OB ICH SEITDEM EINEN GRÖSSEREN KUMMER GEHABT HABE. DAS WAR, ALS MEINE GROSSMUTTER STARB. BIS DAHIN HATTE SIE JEDEN TAG AUF DEM ECKSOFA IN IHRER STUBE GESESSEN UND MÄRCHEN ERZÄHLT. ICH WEISS ES NICHT ANDERS, ALS DAS GROSSMUTTER DAS UND ERZÄHLTE, VOM MORGEN BIS ZUM ABEND, UND WIR KINDER SASSEN STILL NEBEN IHR UND HÖRTEN ZU. DAS WAR EIN HERRLICHES LEBEN. ES GAB KEINE KINDER, DENEN ES SO GUT GING WIE UNS.
ICH ERINNERE MICH NICHT AN SEHR VIEL VON MEINER GROSSMUTTER. ICH ERINNERE MICH, DAS SIE SCHÖNES, KREIDEWEISES HAAR HATTE UND DAS SIE SEHR GEBÜCKT GING UND DASS SIE IMMER DAS UND AN EINEM STRUMPF STRICKTE.
DANN ERINNERE ICH MICH AUCH, DAS SIE, WENN SIE EIN MÄRCHEN ERZÄHLT HATTE, IHRE HAND AUF MEINEN KOPF ZU LEGEN PFLEGTE, UND DANN SAGTE SIE: "UND DAS ALLES IST SO WAHR, WIE DASS ICH DICH SEHE UND DU MICH SIEHST." |
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ICH ENTSINNE MICH AUCH, DAS SIE SCHÖNE
LIEDER SINGEN KONNTE, ABER DAS TAT SIE NICHT ALLE TAGE.
EINES DIESER LIEDER HANDELTE VON EINEM RITTER UND EINER
MEERJUNGFRAU, UND ES HATTE DEN KEHRREIM:
ABER IN DEMSELBEN AUGENBLICK, IN DEM ER ZEIGTE, DAS AUCH ER
BARMHERZIG SEIN KONNTE, WURDEN IHM DIE AUGEN GEÖFFNET, UND
ER SAH, WAS ER VORHER NICHT HATTE SEHEN, UND HÖRTE, WAS ER
VORHER NICHT HATTE HÖREN KÖNNEN.
DA
BEGRIFF ER, WARUM IN DIESER NACHT ALLE DINGE SO FROH WAREN, DAß
SIE NIEMAND ETWAS ZULEIDE TUN WOLLTEN. UND NICHT NUR RINGS UM
DEN HIRTEN WAREN ENGEL, SONDERN ER SAH SIE ÜBERALL. SIE SASSEN
IN DER GROTTE, UND SIE SASSEN AUF DEM BERGE, UND SIE FLOGEN
UNTER DEM HIMMEL. SIE KAMEN IN GROSSEN SCHAREN ÜBER DEN WEG
GEGANGEN, UND WIE SIE VORBEIKAMEN, BLIEBEN SIE STEHEN UND WARFEN
EINEN BLICK AUF DAS KIND.
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ES HERRSCHTE EITEL JUBEL UND FREUDE UND SINGEN UND SPIEL, UND DAS ALLES SAH ER IN DER DUNKLEN NACHT, IN DER ER FRÜHER NICHTS ZU GEWAHREN VERMCXHT HATTE. UND ER WURDE SO FROH, DAS SEINE AUGEN GEÖFFNET WAREN, DAS ER AUF DIE KNIE FIEL UND GOTT DANKTE."
ABER ALS GROSSMUTTER SOWEIT GEKOMMEN WAR, SEUFZTE SIE UND SAGTE:
"ABER WAS DER HIRTE SAH, DAS KÖNNTEN WIR AUCH SEHEN, DENN DIE ENGEL FLIEGEN IN JEDER WEIHNACHTSNACHT UNTER DEM HIMMEL, WENN WIR SIE NUR ZU GEWAHREN VERMÖGEN."
"DIES SOLLST DU DIR MERKEN, DENN ES IST SO WAHR, WIE DAS ICH
DICH SEHE UND DU MICH SIEHST. NICHT AUF LICHTER UND LAMPEN
KOMMT ES AN, UND ES LIEGT NICHT AN MOND UND SONNE, SONDERN
WAS NOT TUT, IST, DAS WIR AUGEN HABEN, DIE GOTTES
HERRLICHKEIT SEHEN KÖNNEN."
SELMA LAGERLÖF
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BUCHSCHMUCK UND ILLUSTRATIONEN,
geschrieben und
Zusammengestellt von UWE KERSTEN |
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