VOM WEIHNACHTSMARKT
Von MARTIN RABE
Solche Winter gibt es nicht mehr",
pflegten unsere " Grosseltern zu sagen,
wenn wir ungeduldig auf den Frost
warteten, sehnsüchtig unsere
frischgesch ärften Schlittschuhe
anstarrten und von den Schneemännern
sprachen, die wir bald im Garten
aufstellen wollten. Früher, so hiess es
dann, sei man mit Schlitten über den
Fluss gefahren, nicht hin und wieder,
sondern regelmässig in jedem Jahr, Buden
seien dort aufgestellt gewesen, rechts
und links einer Schlittschuhbahn, und
heissen Punsch habe es auf dem Eis
gegeben, frische Pfannkuchen und
geröstete Maronen. "Solche Winter gibt
es nicht mehr", sagen auch wir heute
mitunter, aber dann meinen wir es anders
als unsere Grosseltern. Wir glauben
nicht mehr, dass es früher immer sehr
viel kälter gewesen ist und im Sommer
wieder um so heisser, dass die
Jahreszeiten also heroischer auftraten
und sich gewissermassen als Allegorie
ihrer selbst gebärdeten, wir wissen,
dass auch heute noch die Flüsse
zufrieren, die Schiffe in der Ostsee im
Eise treiben und die Züge mitten auf der
Strecke im Schnee stecken bleiben. Was
wir vermissen, ist die Regelmässigkeit,
mit der früher die Kälte eintrat, uns
beunruhigt der ständige Wechsel, der
gegen den Kalender verstösst, dass im
Februar etwa die Knospen an den Büschen
aufbrechen, und dass es im Mai schneit.
Wir sind misstrauisch gegen die
Jahreszeiten geworden, und der Winter
ist uns nicht mehr "kernfest und auf die
Dauer". Mancher mag das heute vielleicht
begrüssen. Jene Beschaulichkeit, zu der
alles verleitet, was regelmässig
abläuft, ist nicht mehr sehr angesehen,
ständig im Aufbruch zu sein, dünkt
vielen besser, und jener seltsame Duft,
der um die alten Dinge ist, heisst heute
nicht mehr Poesie, man tut ihn gerne
verächtlich als Moder ab. Nur die Kinder
haben noch uneingeschrärkt jenen Sinn
für Regel und Gleichmässigkeit. Sie
bauen sich immer noch eine Welt, in der
es Gesetze gibt, die man nicht umstossen
darf. |