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Die Weihnachtshistorie bei Uwe Kersten |
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So stand der Alte da wie ein
Pförtner zum Zauberreich, und wenn wir ihm unseren Obolus
reichten, dann stapfte er zum Dank mit seinem Stelzfuss dreimal
auf den gehenden feindselig anblickten, und niemals habe ich
einen Käufer vor ihren Buden stehen sehen. Dennoch kamen sie
jedes Jahr wieder, sie fühlten vermutlich, das sie dazu gehörten,
es muss eine Art Herdentrieb in ihnen gewesen sein, der sie
immer wieder verleitete, an unserem Weihnachtsmarkt
teilzunehmen.
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Am meisten liebten wir die Buden, deren Besitzer aus fremden Ländern kamen, Türken mit dunkelroten Fezen, die türkischen Honig und sehr süsse gezuckerte Früchte verkauften, oder holländische Meisjes mit grossen, goldverzierten Flügelhauben, bei denen es echte Kientjes gab, die man zwischen den Zähnen halten und dann mit der Hand ganz weit ausziehen konnte.
Später wurde das anders. Zwar gab es auch dann noch holländische Buden, aber die Meisjes waren nicht mehr echt und die Kientjes auch nicht: sie liessen sich nicht mehr ziehen. Damals war auch der Invalide schon mehrere Jahre fortgeblieben, und die ersten Kinos erschienen auf dem Markt mit wilden Indianer: Filmen. Statt der Silhouettenschneider waren Photographen da, und die grossen Berg und Talbahnen kamen auf und verdrängten die kleinen Buden. Es war eine Unruhe in den Weihnachtsmarkt gekommen. Wir waren auch älter geworden, wir setzten uns nicht mehr auf die Pferde im Hippodrom, weil wir jetzt reiten konnten, wir stiegen auch nicht mehr so fröhlich auf die Karussells, sondern trieben uns lieber zwischen den Wohnwagen und den Buden herum und versuchten mit den Mädchen anzubandeln. Damals war es auch, dass das Wetter launisch wurde, dass es zu Weihnachten regnete, und dass man sich abgewöhnen musste, mit einem dauerhaften Winter zu rechnen. Dann kam der Weltkrieg, und seitdem bin ich nicht mehr auf einem Weihnachtsmarkt gewesen.
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BUCHSCHMUCK UND ILLUSTRATIONEN,
geschrieben und
Zusammengestellt von UWE KERSTEN |
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